Von der Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt zur Citykirche

Eine Übersicht wichtiger Daten vorab

  • um 1200:
    erster nachweisbarer Kirchenbau, davon der Unterbau des Turms erhalten
  • nach 1343:
    starke Zerstörungen durch einen Brand
  • 1469 bis 1533:
    Bau der heutigen Kirche
  • 1880 bis 1890:
    Sanierung und Erweiterung um die beiden Turmkapellen
  • 1943 und 1944:
    starke Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg
  • 1958 bis 1975:
    sukzessive Neuausstattung durch verschiedene Künstler, u.a.
    – Joachim Klos (Fenster)
    – Peter Haak (Chorausstattung)
    – Albert Sous (Sakramentshaus)
    – Lukas Fischer (Orgel)
  • 2006
    Umwidmung von der Pfarr- zur Citykirche
  • 2006 bis 2013
    grundlegende Sanierung in mehreren Bauabschnitten

Die heutige Citykirche auf dem höchsten Punkt des Gladbacher Hügels am Alten Markt hat über Jahrhunderte hinweg als Pfarrkirche für das gesamte ausgedehnte Territorium der alten Stadt Gladbach gedient – von der Grenze zu Hardt im Westen bis zur Niers in Lürrip im Osten, von der Donk im Norden bis zu den Grenzen von Rheydt und Rheindahlen im Süden. Damit zählte schon im Mittelalter die Pfarre Gladbach zu den großen und volkreichen Pfarrbezirken im alten Erzbistum Köln.

Das neugotische Portal im romanischen Unterbau des Turms
Pfarrkirche auf der um 1935 angefertigten Farbskizze eines 1943 zerstoerten Altarbilds um 1590

Ursprünge

Die ältesten Teile des aktuellen Kirchenbaus – das sind die beiden unteren Geschosse des heutigen Turmes – sind Überbleibsel der spätromanischen Kirche, die um 1200 errichtet worden ist. Dieses Gotteshaus ist gleichzeitig der älteste bislang nachweisbare Sakralbau an dieser Stelle gewesen. Die heute im westlichen Teil des Südschiffes unter Glas zu sehenden Reste aus dem Untergrund der Kirche zeigen beispielsweise noch einen Fliesenfußboden aus diesem Bau. Ob am Standort des heutigen Gotteshauses schon vor dem 13. Jahrhundert ein sakraler Vorgängerbau seit der Karolingerzeit gestanden hat, wie noch die ältere Forschung seit dem späten 19. Jahrhundert behauptete, wird in jüngerer Zeit stark bezweifelt, weil u.a. die Tradition der benachbarten Benediktinerabtei und die archäologischen Befunde im Umfeld der Münsterkirche (Friedhof des Frühmittelalters) diese These nicht stützen. Die neuere Forschung geht eher davon aus, dass die heutige Kirche im Rahmen der Entwicklung des Marktes und der dazugehörigen Siedlung entstanden ist, als die Bedürfnisse der wachsenden Bevölkerung und die Interessen der Mönche in der Münsterkirche, die bis um 1200 wahrscheinlich als Kloster- und Pfarrkirche gedient hat, nicht mehr miteinander in Einklang zu bringen waren. Endgültigen Aufschluss könnten aber nur weitere archäologische Untersuchungen im Innenraum und Umfeld der heutigen Citykirche erbringen.

Inschrift am Chor zum Baubeginn 1469
Inschrift an der Sakristei mit dem Baudatum 1533

Im Spätmittelalter

Die Beziehungen der Pfarrkirche zur Abtei blieben aber auch nach dem Bau der romanischen Kirche um 1200 eng. Da die Pfarrstelle spätestens seit 1243, als sie dem Kloster förmlich einverleibt wurde, fest an den Konvent der Benediktiner gebunden war, wurde die Seelsorge für die Gladbacher Bevölkerung meist durch Benediktiner ausgeübt. Die romanische Kirche, die bei schmaleren Seitenschiffen in ihrer Länge dem heutigen Bau vergleichbar und damit recht stattlich war, wurde allerdings nach 1343 Opfer einer größeren Brandkatastrophe, die sich archäologisch fassen und durch den Fund einer 1343 geprägten Münze um die Mitte des 14. Jahrhunderts datieren ließ. Aber – und auch das haben die punktuellen Ausgrabungen ergeben: Die Gladbacher stellten die Kirche wieder her. Erst gut ein Jahrhundert später, 1469, begann man mit dem Bau des heutigen Gotteshauses, der sich über mehrere Stufen schließlich bis 1533 hinziehen sollte. Die beiden genannten Daten sind inschriftlich am Außenbau gesichert. Von den erwähnten Baustufen zeugen Spuren über den Gewölben des südlichen Seitenschiffes und die im nördlichen Seitenschiff unter Glas zu sehende Grundmauer eines engeren Seitenschiffes. Dass man schließlich die heutigen breiten Seitenschiffe gebaut hat, mag u.a. mit dem erhöhten Platzbedarf wegen einer Vielzahl an der Kirche ansässiger Bruderschaften zusammenhängen, die normalerweise einen eigenen Altar unterhielten und von denen manche eng mit Zünften verbunden waren. Und insofern entwickelte sich die Gladbacher Pfarrkirche zu einem Spiegel der städtischen Gesellschaft. In die spätgotische Bauphase gehören übrigens auch die beiden Obergeschosse des Turms und der markante Turmhelm, der seither zu den wesentlichen, die Stadtsilhouette prägenden Elementen gehört.

Bauaufnahme des Neusser Baumeisters Julius Busch, vor 1880 (Zeichnung aus dem Münsterarchiv Mönchengladbach)

In der Frühen Neuzeit

In der Zeit der Reformation konnte sich das entstehende neue Bekenntnis in Gladbach nicht durchsetzen, was nicht zuletzt mit der starken Stellung der Abtei zusammengehangen haben wird. Über die weitere Entwicklung der Pfarre und ihrer Kirche in der Frühen Neuzeit sind wir bislang noch wenig informiert, weil dazu kaum geforscht worden ist. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat immerhin der Turm eine größere Instandsetzung erfahren. Im Inneren zeugt das reichgeschnitzte Mobiliar der Sakristei aus der Zeit um 1700 eindrucksvoll von dieser barocken Epoche.

„Hauptpfarrkirche“

Eine Neustrukturierung bahnte sich in der Folge der Französischen Revolution während der napoleonischen Herrschaft an, als mit der Auflösung der Abtei die jahrhundertealten Bindungen an das Kloster wegfielen. Mit dem letzten Prior der Abtei wurde aber noch einmal ein Geistlicher mit benediktinischer Prägung Pfarrer in Gladbach. Auf die Neuorganisation in napoleonischer Zeit ging dann auch die Bezeichnung der „Hauptpfarrkirche“ zurück, weil das Gladbacher Gotteshaus in der Verwaltungseinheit des Kantons Gladbach bzw. Neersen – übertragen auf heutige Verhältnisse würde man vielleicht von einem Kreis sprechen – die zentrale Pfarrkirche wurde, der alle anderen – so auch die 1804 in Neuwerk eingerichtete – als Sukkursalen, also Hilfspfarrkirchen, zugeordnet waren.

Im 19. Jahrhundert

Im Laufe des 19. Jahrhunderts stand für die Pfarrgemeinde zunächst weniger die Sorge um ihre Pfarrkirche im Vordergrund als vielmehr eine angemessene Reaktion auf die allgemeinen Herausforderungen der Zeit. Von der Industrialisierung mit all den damit einher gehenden Problemen war die vor allem ab etwa 1850 rasant sich entwickelnde Stadt, für die man auch die Bezeichnung „das rheinische Manchester“ geprägt hatte, bei einem sehr hohen Arbeiteranteil in erheblichem Maße betroffen. Der durch den starken Zuzug von außerhalb geprägten Gemeinde konnte das mittelalterliche Gotteshaus am Markt nicht mehr genügen. Deshalb wurden in dem Jahrhundert zwischen 1850 und 1950 in den ehemals sehr dörflich strukturierten einzelnen Ortsteilen im Umfeld der Kernstadt auf dem Gladbacher Hügel eigene Kirchen gebaut, die zunächst das Marienpatrozinium der Pfarrkirche am Markt weitertradierten und sich damit als Töchter der Hauptpfarrkirche zu erkennen gaben. Nach dem schon 1804 verselbständigten Neuwerk (Mariä Himmelfahrt) gingen 1858 Hehn (Mariä Heimsuchung), 1868 Lürrip (Mariä Empfängnis), 1873 Venn (ebenfalls Maria Empfängnis) sowie Eicken 1890 (St. Maria Rosenkranz) in die Eigenständigkeit. Die im 20. Jahrhundert von der Mutterkirche am Markt getrennten Pfarren lösten sich schließlich vom Marienpatrozinium.

Der alte Kirchenbau am Markt wurde erst im letzten Fünftel des 19. Jahrhunderts in Stand gesetzt und in begrenztem Maße erweitert: Unter Leitung des Neusser Baumeisters Julius Busch erfolgten der Bau der beiden, seitlich am Turm angesiedelten polygonalen Kapellen sowie eine grundlegende Überarbeitung des Äußeren wie des Innern. Beispielsweise gehen die reichen Fenstermaßwerke wie auch die einheitliche Tuffverkleidung am Außenbau auf diese Baumaßnahmen zurück. Der Turm freilich blieb vorerst von diesen Arbeiten unberührt: Seine Sanierung, der das schöne neugotische Portal zu verdanken ist, erfolgte erst 1899. Seither bot die Kirche im Inneren ein einheitlich durch die Neugotik geprägtes Bild. Nur wenige ältere Inventarstücke ließ man unberührt, so vor allem den Taufstein aus dem 15. Jahrhundert mit seinem schön geschwungenen Deckel in den Formen der Spätrenaissance oder des Barock sowie die beiden rotmarmornen und dem späten 17. Jahrhundert angehörenden Weihwasserbecken an den alten Eingängen in den Seitenschiffen.

Im 20. Jahrhundert

Einschneidend waren schließlich die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, die den Bau Ende August 1943 und dann noch einmal 1944 trafen. Dem Brand von 1943 fielen u.a. sämtliche Dächer, deren Gebälk wahrscheinlich noch der Spätgotik angehört hatte, sowie das spätgotische Geläut zum Opfer. Darüber hinaus stürzten große Teile des Mittelschiffgewölbes ein, so dass der Kirchenraum unbenutzbar war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es der Gemeinde um eine rasche Benutzbarmachung des Gotteshauses, das als Pfarrkirche einer immer noch großen Gemeinde gebraucht wurde. Immerhin gelang es Anfang der Fünfzigerjahre, den für das Stadtbild so wichtigen Turmhelm wiederherzustellen – wenn auch in etwas reduzierter Form. Eine künstlerisch anspruchsvollere Gestaltung konnte man erst vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren realisieren: die abstrakt-leuchtende Verglasung von Joachim Klos (1958-1967), die Chorausstattung nach Entwürfen von Peter Haak (1962-1965), das Tabernakel von Albert Sous (1970), die Orgel von Lukas Fischer (1975). Dem neugotischen Inventar entstammt noch die Pieta aus der Werkstatt von Konrad Kramer in Kempen. Aus dem Kunsthandel sukzessive neu erworben wurden die Muttergottes mit Kind im rechten Seitenschiff, die spätgotische Kreuzigungsgruppe über dem Altar sowie die beiden barocken Gemälde der Kreuzigung und der Dreifaltigkeit. Das Geläut setzt sich heute aus drei Glocken von 1924 bzw. 1950 der Firma Otto in Hemelingen zusammen.

Der Turm der Citykirche als Gipfel des Stadtbildes, 2015

Citykirche

Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts entstand eine kritische Situation: Die zurückgehenden Zahlen der Pfarrangehörigen ließen eine Neuorganisation der Pfarrstrukturen angeraten erscheinen; der bauliche Zustand der Hauptpfarrkirche hatte sich zudem dramatisch verschlechtert, weil seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg kaum noch durchgreifende Instandsetzungen vorgenommen worden waren. Die Funktion der Pfarrkirche ging dann 2006 auf die benachbarte Münsterkirche, die ehemalige Abteikirche, über. Im Gegenzug wechselte die alte Kirche am Markt in den Bereich der kategorialen Seelsorge: Ihre Aufgabe ist eben die Citypastoral, die sich an ein breites, auch kirchlich ungebundenes Publikum wendet und ein vielfältiges spirituelles und kulturelles Angebot zum Schwerpunkt hat.

In mehreren Bauabschnitten konnte seitdem das Gotteshaus endlich saniert werden. Punktuell fanden archäologische Untersuchungen statt – dann nämlich, wenn man wegen der anstehenden Maßnahmen in den Untergrund eingreifen musste. 2013 kamen diese Arbeiten zum Abschluss. Seitdem bietet sich die Kirche in einem hervorragenden optischen und baulichen Zustand dar. Ihre rege Frequentierung tagsüber zeigt, welch unverzichtbare Position sie mittlerweile im Gefüge der Gladbacher Innenstadt erworben hat und wie sie damit gleichzeitig weit in die ganze Region auszustrahlen vermag.

Mönchengladbach, im Frühjahr 2020                                                    Christoph Nohn